Ein praktisches Problem
Da ich gerade Robinson Crusoe lese, und dabei bemerkt habe, wie unterhaltsam es ist, von den praktischen Problemen eines Menschen in einem anderen Lebenskontext zu hören, mache ich heute morgen dasselbe: einen anderen Kontext als ihr habe ich, und… nunja, praktische Probleme habe ich auch genug!
Nur ganz kurz zu meiner Gesamtsituation: ich bin gerade zwischen Chioggia und Ravenna, und habe gerade zwei Pausetage und gestern einen kurzen Tag gemacht, wegen meiner aufgetauchten Knieprobleme. Was diese Probleme angeht, bin ich aber heute morgen viel optimistischer als in den Tagen davor. Die Landschaft und Kultur ist sehr schön, aber die vielen Mücken führen hier echt einen erbitterten Kleinkrieg gegen die Menschheit. Ein dreifach hoch auf mein australisches Teebaumöl, das mir immer für 5 Minuten sozusagen eine Feuerpause verschafft! Leider ist es heute morgen leer gegangen. Zu meiner aktuellen Situation: ich sitze in einem Café und trinke fantastischen Cappuccino…
Also, mein praktisches Problem, von dem ich heute erzähle, geht darum, dass ich einen Spirituskocher habe, aber hier in Italien keinen gescheiten Spiritus, also reinen Alkohol, zu kaufen finde. Dieses Problem zu lösen oder zu umgehen beschäftigt mich seit Tagen. Ich habe einen Kocher, von dem ich sehr begeistert bin. Er ist baugleich mit diesem Kocher hier, aber er ist von Tatonka und aus Edelstahl statt aus Aluminium, was anscheinend gesünder, aber vor allem robuster, hübscher und hygienischer ist. Er ist sehr simpel, robust und windgeschützt, und funktioniert mit Spiritus, was es überall gibt (dachte ich), und daher gefällt er mir sehr gut. Er hat mir bisher sehr gute Dienste geleistet, ich koche darauf jeden Morgen Haferflocken, zweimal am Tag Kaffee, und mindestens einmal am Tag Nudeln. Jahrelang hatte ich Probleme mit dem Wind, und das ist Vergangenheit, seit ich mir vor ein paar Monaten diesen Kocher gekauft habe. Sogar bei stürmischem Wetter hinter Wien hat er perfekt funktioniert. Somit habe ich bisher schon 1,5 Liter Spiritus verkocht, und als die erste Flasche in Österreich leer wurde, bin ich in das nächste Baumarkt-ähnliche Geschäft, und kam sofort mit einem schönen 1l-Aluminium-Kanister Spiritus heraus. Ein Problem hatte dieser Spiritus aber, oder es war mir bis daher nicht aufgefallen, und es ist bei dem Kocher immer so: an der Unterseite der Töpfe bleibt immer Ruß zurück, und man muss aufpassen, dass man sich beim Essen und Trinken da nicht die Finger voller Ruß macht und danach alles was man berührt verdreckt. Da dachte ich mir dann: Spiritus ist ja eigentlich einfach Ethanol, aber es gibt doch „Brennspiritus“ und „Reinigungs-Spiritus“ und auch „Speisespiritus“, zum Flambieren. Und der Unterschied, habe ich mir überlegt, liegt vielleicht darin, dass es eben nur 99% Ethanol und 1% sonstiges ist, was eben den Unterschied zwischen den Sorten ausmacht, und vielleicht rußt eine Variante mehr. Vielleicht rußt aber auch einfach das Ethanol: Ruß ist in meinem Kopf einfach ein anderes Wort für das Element C, und beim Oxidieren von Ethanol könnte das ja in geringen Mengen übrigbleiben. Aber ich bin kein Chemiker. Vielleicht war also der österreichische Baumarkt-Spiritus eher der Reinigungsspiritus, und den ich in einem Münchner Baumarkt gekauft hatte Brennspiritus? Als mir also der Spiritus in Italien ausging, ging ich in einen Supermarkt, dort gab es aber nur 90% rosa Reinigungsspiritus. Da ich ja skeptisch war, was dieses 1% angeht, war ich noch skeptischer, was 10% für Wirkung haben würden! Ich ging also raus, ohne ihn zu kaufen, und fragte in einer Apotheke. Die hätten mir das bis zum Abend bestellt, aber das war mir irgendwie zu blöd. Leider leider leider habe ich nicht nach deren Preis gefragt, das sind so die kleinen Fehler, die man auf so einer Reise macht. Da es abend wurde, und ich mir etwas kochen wollte, ging ich doch nochmal zurück in den Supermarkt (was immer ein ziemlicher Act ist, denn ich muss meine 6 Fahrradtaschen in einen Einkaufswagen umschichten, und passendes Geldstück für den Wagen haben, etc.). Dort stand ich vor dem Regal, und mir kam folgende Geschichte in den Sinn: als ich noch ein ganz kleiner Bub war, da habe ich mit so KOSMOS-Chemiebaukästen experimentiert. Da war ein einziger, kleiner, weißer Würfel dabei, und der hieß „Trockenspiritus“. Als ich eines Tages, zusammen mit einer erwachsenen Aufsichtsperson, Experimente machte, und das Experiment mit dem Trockenspiritus drankam, rief ich: „Nein, das ist zu schade, von dem hab ich doch nur den einen!“ Und die Aufsichtsperson (ein studierter Chemiker) sagte: „Ach was, Trockenspiritus! Das ist auch nichts anderes als diese weißen Grillanzünder, das ist nicht wertvoll!“ Nungut, mit diesem soliden Background-Wissen ausgestattet entschied ich mich also 15 Jahre später in dem italienischen Supermarkt eine Packung weißer Grillanzünder zu kaufen, in der Hoffnung, dass sie mir kurzfristig über meinen Spiritusmangel helfen würden. Als ich das Nachtlager aufgeschlagen hatte und kochen wollte, holte ich also diese Packung raus, und als ich den Karton öffnete, konnte ich auf der Folie, in die die Grillanzünder eingeschweißt waren, endlich die Inhaltsstoffe lesen. Wegen meiner Kindheitserinnerung hoffte ich „Ethanol“ zu lesen, aber ich las „Kerosin“. Da ich jetzt aber keine schlechten Erfahrungen mit Kerosin habe (ich habe gar keine Erfahrungen mit Kerosin) setzte ich die Kochaktion fort. Es sollte ursprünglich Nudeln mit Dosentomaten, Knoblauch, vom Wegrand gesammeltem Rosmarin und Mozzarella geben. Ich zündete also einen Kerosinwürfel in dem Kocher an, und sah, dass das Wasser nur sehr langsam wärmer wurde. Der Würfel wurde beim Brennen schwarz und immer kleiner, bis er weg war, und ich einen zweiten anzündete. Da wirklich keine gute Hitze entstand, änderte ich das Rezept von „Nudeln mit all dem Zeug“ zu „Tortellini mit all dem Zeug“, denn die müssen nur ganz kurz, wenn überhaupt, kochen. Eigentlich müssen sie nur warm werden, und das, dachte ich, schaff ich. Das Ende vom Lied ist, dass es an dem Abend kalte Tortellini mit kalten Dosentomaten und ungeschmolzenen Mozzarella-Stücken gab, was ja auch nicht so schlecht ist. Die Überraschung kam aber, als ich am nächsten Morgen den Topf aus dem Kocher nahm (um meine Hände nicht voll Ruß zu machen, esse ich immer aus dem Kocher, um den Topf nicht berühren zu müssen). Die beiden Kerosin-Würfel waren in schwarzer Form komplett an die Unterseite des Topfes gewandert, und dort war jetzt eine dicke, solide schwarze Schicht, in der Mitte am dicksten, die ich aber zum Glück gut entfernen konnte. Den Versuch sah ich also als gescheitert an, und schmiss die Packung Grillanzünder in den nächsten Müll (zum Glück haben sie mich nur 1,20€ gekostet). Da ich einen Pausetag machte, ging ich wieder in diesen Supermarkt, und kaufte den rosa 90%-Spiritus, als nächsten Ausweg. Über den ist zu sagen, dass er zwar brennt, aber viel weniger Hitze entwickelt als reiner Spiritus. Das ist insofern interessant, als dass er beim Brennen genau so aussieht wie echter Spiritus, aber eben anscheinend viel kälter verbrennt. Immerhin bringt er das Wasser nach einer langen Weile zum Kochen, sodass ich Nudeln und Kaffee machen kann. Leider stinkt er echt eklig süß, und am Ende bleibt immer eine braune Suppe in dem Kocher zurück (die 10% Übriges), das noch ekliger süß stinkt. Das hat mir die letzten zwei Morgen den Appetit auf ein ausgedehntes Haferflocken-Frühstück genommen, sodass ich mich jetzt mit Brioche und anderem durch den Vormittag schlingel. Überall besuche ich so Eisenwaren/Haushaltswaren/Angler-Geschäfte, aber alle haben nur das rosa Zeuch. In 80km auf meiner Strecke ist ein großer Baumarkt, dort hoffe ich reinen Spiritus zu kaufen. Einen verrückten Abschluss hat die Geschichte noch: heute morgen mache ich mir also Kaffee, und als ich die Sachen zusammenpacke, entfährt mir ein leises „No way…“: am Topfboden ist überhaupt kein Ruß! Dieses rosa 90%-Zeuch rußt nicht! Das ist jetzt doch sehr interessant, der Ruß stammt also nicht vom oxidierenden Ethanol, sondern von etwas anderem. Mal sehen, wie sich die Sache ausgeht. Ich hätte lieber echten Spiritus, der rußt, als rosa Süß-Papp, das nicht rußt. Aber reiner Brennspiritus, der nicht rußt, tja, das ist, wovon ich träume…