Die Reise geht weiter

Freitag, 3. November, Abends, bei Monteriggioni.

Die Reise geht weiter, und ich bin wieder in meiner „natürlichen Position“ angelangt: im Zelt, im Nassen, an einem Waldrand, total gemütlich (Memo to myself: ich muss morgen AA und AAA Batterien kaufen, die Tastatur blinkt und meine Kopftaschenlampe wird immer schwächer). Der letzte Blogpost ist – aus Gründen – schon länger her, und zwar ist seit letztem Mal folgendes passiert:

Ich war in Bologna beim lieben Pietro, einem Geiger, für eine sehr schöne Woche. Zwei Zitate von Pietro: „Man muss im Leben ein Ziel haben und dann die Etappen dorthin genießen“ und (aus heiterem Himmel): „Wenn ich dich als Gott malen würde, dann in einer Hand Knoblauch und in der anderen Rosmarin“. Sehr nett also, diese Zeit. Etwa einen Tag nach dem letzten Blogpost habe ich dann mit Rainer, dem Mann meiner Patentante, telefoniert, der in einer Klinik mit dem Lösen von Knieproblemen sein Geld verdient. Er hat aus der Ferne, anscheinend sogar nur durch das Lesen des Blogs, die richtige Diagnose gestellt: irgendwie sind Mikrorisse in meinen, sozusagen, „Knieknochen“, und die Standard-Therapie sei 6 Wochen Pause. Also war für mich klar, dass ich ein bisschen Pause machen muss. Ich habe dann ein paar WWOOF-Höfe angeschrieben, und weil sich die in der Region, in der ich war (Emilia Romana) nicht gemeldet haben, habe ich Höfe in der Toskana angeschrieben, in die ich ja eigentlich fahren wollte, bevor ich an meinem Schicksalsberg hängengeblieben bin. Es meldete sich sofort ein deutschsprachiger Hof-Besitzer, aus der Schweiz stammend, der Hilfe bei der Olivenernte brauchte. Große Euphorie brach in Bologna aus, und ich sollte also am nächsten Morgen nach Siena fahren. Der Tag hatte dann noch manch andere schöne Wendung: Pietro sollte mit seiner Geige bei einem Nachmittags-Gesangs-Konzert aushelfen, dass von einem Verein von Opernliebhabern organisiert wurde. Ich sagte zu Pietro: wenn es nicht allzu viel kostet komme ich. Er weckte mich kurze Zeit später aus meiner Siesta mit einer Einladung in der Hand, sodass ich mit freien Eintritt in diese geschlossene Veranstaltung konnte. Pietro hat fantastisch gespielt, „Meditation“ aus Thais und den ersten Satz der Frühlingssonate, und die anderen sangen alle möglichen Szenen aus verschiedenen Opern (kein Wagner dabei). Danach wurden wir beide noch zum Abendessen der Opernliebhaber eingeladen, was super in unsere nicht vorhandene und auf Sparsamkeit ausgerichtete Planung passte, und am Abend gingen wir noch das Zugticket für den nächsten Tag kaufen. Zu meinem Erstaunen und meiner großen Freude überließ mir Pietro dort abschließend noch seine am Nachmittag verdiente Gage, sodass ich aus Bologna mit mehr Geld abreiste, als ich angekommen war. Es war ein sehr schöner freundschaftlicher Moment, und seitdem bin ich ungebrochen optimistisch, Portugal doch zu erreichen.

Am nächsten Morgen fuhr mein Zug um 6 Uhr in der Dunkelheit ab, und als die Sonne aufging fuhr ich durch traumhafte Toskana-Landschaft. Bei dem einzigen Umstieg, den ich zu bewältigen hatte, stieg ich zuverlässig in den falschen Zug ein, ein Problem, das sich aber auch bald in Luft auflöste. Nach einem durch Knieschmerzen und schlechter öffentlicher Verkehrsinfrastruktur etwas qualvollen Aufenthalt in Siena kam ich schließlich, von meiner spanischen Gastmutter gefahren, auf dem Landgut an. Wie soll ich es beschreiben? Paradiesisch. Überall schöne Pflanzen, Oliven, Feigen, Kakis, Quitten, Bamboos, ein 5 monatiger Berner Sennenhund-Welpe, 3 Katzen, überall gemütliche Gartenmöbel, eine Hängematte, eine von Wein überragte Terrasse, etc. Die Familie bestand aus dem deutsch, italienisch und spanisch sprechendem Vater, der spanisch und italienisch sprechenden Mutter, und der deutsch, italienisch, englisch und spanisch sprechenden, hübschen, vergebenen Tochter. Wir vier lebten dort für die letzten 10 Tage zusammen, und jeden Tag kam irgendein Besuch, von Nachbarn, von Freunden, von AirBnB-Gästen, etc. In dieser Zeit hätte ich einen Blogpost schreiben können (einen hab ich auch geschrieben aber nicht veröffentlicht, da irgendwas dazwischenkam), aber letztendlich wäre es quatsch gewesen, da jeder Tag in meiner üblichen Art daraus bestand, viele kleine zwischenmenschliche Phänomene intensiv zu erleben, und diese in Real-Time im Internet zu veröffentlichen bietet sich nicht an. Deshalb hier ein gemütlicher Rückblick:

Meine Gastfamilie war sehr nett. Das ist ganz ehrlich gemeint und wichtig. Trotzdem war ihr Verhalten mir gegenüber der eine kleine Schatten, der über dem Aufenthalt lag, da sie, warum auch immer und es ist ihr gutes Recht, nicht besonders interessiert an mir und meinen Gedanken waren. Da ich aber viel denke, mitteilungsbedürftig bin, und sie am Anfang meine einzigen Bezugspersonen waren, war es doch etwas, mit dem ich immer wieder haderte. Zum Beispiel fragten sie bis zum Ende nie, warum ich eigentlich diese Reise mache, oder was ich bisher erlebt hätte. Ich erwähnte ein paar Mal, dass ich einen Blog schreibe, aber sie zeigten keinerlei Interesse daran, ihn jemals zu lesen, und bei dem Abschied heute morgen haben wir nicht mal irgendwie Kontakte ausgetauscht. Tja, interessante Erfahrung, von der ich auch etwas mitnehme ¯\_(ツ)_/¯ Die ersten drei Tage sog ich also all die schönen Eindrücke des Landlebens auf, und was das mangelnde Interesse anging blieb ich optimistisch. (In meiner ehrlichen Art sprach ich auch die Tochter an einem der ersten Abende direkt darauf an, ein Gespräch, das aber wirkungslos und wenig erhellend verpuffte.) Bald löste sich aber das Problem, da zwei Deutsche Paare hinzukamen, ein mit der Familie befreundetes Paar in meinem Alter, und zwei AirBnB-Gäste, die bei Potsdam auf einem selbst-sanierten Hof mit zwei Töchtern wohnen, und wir fünf hatten ein paar sehr schöne Abende zusammen. Zwei Dinge aus den Abenden erzähle ich: erstens habe ich dank Bert, dem Mann von dem Hof bei Potsdam und seines Zeichens Physiker, Strom verstanden! Volt, Ampere, Watt, Ohm, Sekunde, immer nur her damit, ich habe jetzt ein intuitives Verständnis davon, was mich sehr freut. Zweitens hatte ich ein Gespräch mit Sophie, der Frau aus dem mit der Familie befreundetem Paar, darüber, dass man Weisheit auf viele verschiedene Arten erlangen kann, in welchem ich sagte, dass ich zum Beispiel viel von meinem Basilikum lernen konnte, dessen Zucht diesen Sommer in München mein Hobby war. Da ich ihr nicht erzählt habe, was ich von ihm gelernt habe, und ich diese Erkenntnis für schön halte, teile ich sie hier: Also. Eine Pflanze bewegt sich ja seehr langsam. Nicht fürs Auge sichtbar. Und reagiert nicht auf Emotionen. Trotzdem ist sie ja aber doch ein Lebewesen, und somit erstens qualitativ unterschiedlich von Totem, und zweitens mit uns wohl in manchen Eigenarten verwandt. Also fragte ich mich: was unterscheidet einen Basilikum von einem toten Gegenstand? Denn es gibt ja auch tote Gegenstände die sich bewegen und wachsen, zum Beispiel ein Boot, das sich im Hafen liegend im Wind bewegt, ein Roboter, der sich unglaublich lebensecht bewegt und eigenständig Probleme löst, oder irgendeine spektakuläre chemische Reaktion. Die Antwort auf diese Frage ist die Erkenntnis, auf die ich hinauswill: man weiß letztendlich nicht, was der Basilikum in den nächsten Tagen machen wird. Mal hat ein Stängel zwei Blätter, mal drei, mal eins. Mal ist das Blatt groß, mal klein, mal asymmetrisch. Nobody knows. Er ist ein Individuum. Diese Erkenntnis wird noch dadurch erschwert, dass man, wenn man sich darüber informiert, sehr gut weiß, wo man ihn abschneiden muss, damit er gedeiht und so und so reagiert. Auch Gießen und Düngen haben erwartbare Folgen. Aber so sehr man es ahnen kann, das letzte Ereignis bleibt ein Geheimnis und eine Überraschung. Jeder Basilikum ist ein eigenes Individuum, und so sind wir Menschen, und das ist das kostbare an uns, was uns von Totem unterscheidet, und eine Philosophie wie Hundertwassers lässt sich direkt durch die kleinste Pflanze in der eigenen Wohnung in ihrer Gänze begreifen. Wenn das Kostbare an uns, diese Einzigartigkeit, in jedem Lebewesen gleich ist, führt das auch direkt zur Antwort auf die Frage, wie wir miteinander umgehen sollten. Von einem kleinen Blättchen einer Pflanze kann man also eigentlich alles Wesentliche lernen. Dum-Dum-Bisch, Ende der Ausführung.

Nachdem das eine Paar vorvorgestern, das andere vorgestern, abgefahren waren, wurde unabhängig davon gleichzeitig klar, dass ich am Freitag, also heute, abfahren würde. Ich sah gelassen den letzten zwei Tagen entgegen, als es vorgestern Abend plötzlich hieß, dass spontan zwei junge Reisende bei uns übernachten und am nächsten Tag bei der Ernte helfen würde. Zwei 21-jährige Vögel wie ich, auf dem Weg nach Indien, zu Fuß und mit Autostop. Sehr schöne, berührende gemeinsame Zeit zusammen (hey, ich hab ihnen sogar auf ihren Wunsch 30-Minuten Wagner vorspielen können!). Unsere tiefsten Einsichten haben wir miteinander geteilt und uns darin getroffen, ohne in unverständliche Mystik abzudriften. Die Verabschiedung heute morgen war entsprechend herzlich, und ich freue mich darauf, mit ihnen in Kontakt zu bleiben.

Heute bin ich dann losgefahren, und es hat zum ersten Mal seit Slowenien geregnet. Alle Tage davor, bei der Ernte, war ich im T-Shirt unterwegs, und beim Mittagessen haben wir uns immer in den Schatten gesetzt, da es in der Sonne zu warm war. Mit den Knien ging es heute gut! Ich mache aber natürlich nicht den Fehler zu glauben, dass es irgendwie ausgestanden ist. Die Pause hat ihnen auf jeden Fall sehr gut getan. Ich bin einfach dankbar für jeden Moment, wo sie mitmachen. Jetzt habe ich wieder mal viele Möglichkeiten: ich fahre erstmal im Flachen nach Pisa und Livorno. Von da aus kann ich entweder über die Berge nach Südfrankreich trampen, oder ich finde doch eine Strecke, die nicht allzu sehr auf und ab geht, und fahre mit dem Fahrrad. Oder ich fahre mit einer Fähre nach Sardinien, und dann nach ein bisschen Radfahren dort mit einer weiteren Fähre nach Barcelona. Oder irgendein anderer Plan taucht auf, mal sehen.

So, das also die Zusammenfassung der letzten Tage. Abgesehen davon ist noch viel anderes passiert, das ich noch gar nicht erwähnt habe: zum Beispiel hatte ich an einem Nachmittag ein tiefgreifendes Erlebnis, als ich ein großes Feuer gemacht habe, und ich in einem sehr intensiven Flow-Gefühl war. Da ich Berge von Holz verbrennen musste, und gleichzeitig das Feuer nicht zu groß machen konnte, weil in der Nähe Pflanzen waren, fühlte sich dieser Balanceakt, zusammen mit den immer wiederkehrenden Stufen des Feuers, an, wie ich mir Wellensurfen vorstelle. Das war einer der Höhepunkte meines Lebens, wenn man so will. Außerdem und überhaupt war die schönste Geschichte dieser ganzen Zeit meine Beziehung zu und Erlebnisse mit der 8-jährigen Nachbarstochter Livia, die ich aber nächstes Mal erzählen muss. Ihr seht also, diese Reise entwickelt sich zu einem echtem, allumfassenden Feuerwerk. Von diesem Feuerwerk fallen dann immer wieder Funken nach unten bis auf die Tastatur. So etwa ist das mit dem Schreiben 🙂 Ich wünsche zum Schluss all denen, die mir bisher geholfen haben, und die ich in der letzten Zeit kennengelernt habe, und all den Lesern zu Hause, eine gute Zeit ✌️

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