Der Reise zweiter Teil

Gerade wollte ich mich in einem Park zu einer Siesta hinlegen, als mir so viele Gedanken durch den Kopf gewirbelt sind, dass ich den Siesta-Plan fallen gelassen habe und in ein Cafe gegangen bin um zu schreiben. Nicht der einzige Plan, den ich in den letzten Tagen fallen lassen musste. Die Tour hat seit dem letzten Blogpost völlig ihren Charakter verändert, und so viel ist passiert, dass ich jetzt vor der Herausforderung stehe, das alles überblicksartig und trotzdem interessant aufzuschreiben.

Von dem Bio-Campingplatz bin ich am nächsten Morgen losgefahren mit der Idee, an diesem Tag direkt von Meer weg in die Apenninen zu fahren. Das passierte dann auch, und es war ein ganz witziger Radltag, da mich der Radweg oft abseits von jeglicher Straße durchs Gras hat fahren lassen. Da ich in ein sehr abgeschiedenes Tal fahren wollte, habe ich mich noch in der Stadt davor mit Proviant für mehrere Tage versorgt: 1,5kg Nudeln, 1,6kg Dosentomaten, 1L rosa Spiritus, Speck, Äpfel, zusätzliche 500gr Haferflocken. Zum Glück, wie sich bald herausstellen sollte. Damit fuhr ich in das Tal, die Sonne ging unter, und ich dachte mir noch (das ist wirklich so bitter, genau das dachte ich mir noch): „Ha, dass du neulich morgens wegen deinen Knien optimistisch warst, war kein Fehler: sie machen wirklich keinerlei Probleme mehr!“ Ich suchte also an der Straße durchs Tal einen Zeltplatz, und nach einer Zeit sah ich einen kleinen Hügel, der perfekt geeignet aussah, und es führte eine kleine steile Straße hinauf, das konnte ich erkennen. Also strampelte ich mich am Ende des Tages eine vielleicht 250m lange Straße hoch, die ultra steil war, ich würde sagen über 20%, denn ich musste stehen, im ersten Gang, und trotzdem ging es sehr schwer. Es waren irgendwie so spontane 5 Auspower-Minuten, bis ich oben war, wie man sie halt manchmal im Leben hat: man muss einen schweren Koffer in den dritten Stock schleppen, oder plötzlich schnell zum Bahnhof rennen… so unvermittelte, schnell vergehende Minuten der Höchstanstrengung. So, und oben angekommen begann dann der zweite Teil der Reise 😃 denn ich merkte leider sofort nach dem Absteigen: „Oh oh, das war wohl keine gute Idee, meine Knie fühlen sich sehr erregt an, heiß, wie als würden sie leuchten.“ Oh Mann, das war echt blöd, dieser Moment! Ich habe mir dann ein Abendessen gekocht, habe die vorletzte Diclofenac-Tablette genommen, und bin ins Bett. Nachts konnte ich kaum schlafen, so stark habe ich meine Beine gespürt. (Das hatte ich jetzt zum zweiten Mal im Leben, dass man nicht schlafen kann, weil die Beine so müde sind. Das ist eine lustige Form des Nicht-Schlafen-Könnens.) Naja, in dieser Nacht habe ich mir viele Gedanken gemacht, zum Beispiel: „Stell die vor, die Knie haben sich entzündet, und du kannst jetzt nicht mehr Fahrrad fahren, nur wegen diesem einen blöden kleinen Hügel, deinem Schicksalsberg!“ Viele Gedanken, wie von einem Geläuterten, der auf seine vergangenen Fehler starrt. Übrigens meine ich diesen Gedanken vom „Schicksalsberg“ oder überhaupt, dass dieses Hügel-Erklimmen ein Fehler war, mittlerweile als falsch erkannt zu haben: so, wie es mir scheint, hätten meine Knie, wenn nicht an diesem Abend, dann am nächsten Tag am Pass irgendwann zu streiken begonnen. In der Nacht beschloss ich schon, auf diesem Hügel einen Pausetag einzulegen, um die Knie zu beruhigen. Bald am nächsten Tag entschied ich mich dafür, sogar zwei Pausetage dort zu machen, „um auf Nummer sicher zu gehen“, wie ich dachte. Diese zwei Tage auf dem Hügel waren sehr schön. Ich habe mich, da ich es auch dort zu Ende las, ein bisschen wie Robinson Crusoe gefühlt, da ich zwar nicht auf einer Insel, aber doch auf einem Hügel gestrandet war, von dem ich wegen meiner Knie nicht mehr runterkam. Außerdem hatte ich wie er einen „Proviant“, mit dem ich haushalten musste, und ein „Basislager“, das immer elaborierter wurde… Dreimal ging ich paar hundert Meter zu einem Haus Wasser holen, und einmal kam ein junger Mann vorbei, der mich gesehen hatte, und schenkte mir Wasser und Rotwein, was eine ziemlich schöne Überraschung war. Also diese Tage habe ich viel gelesen, viel geschwitzt, da es sehr heiß war und ist, viel geschnitzt, was eine sehr schöne kreative und ruhige Aktivität ist, und die Landschaft war schön. Ich konnte mich nicht beschweren, und ich habe mich auch nicht beschwert. Die Knie wurden langsam immer besser.

Am dritten Morgen auf dem Hügel packte ich langsam meine Sachen ein und wollte eine kurze Etappe machen. Aber schon nach 7km, im nächsten Dorf, musste ich wieder aufhören, da es mit den Knien überhaupt nicht ging. Sie juckten sehr, sie sind einfach gerade sehr gereizt. Mmmmhh, dann dachte ich mir: „Ok, hier ist es schonmal besser als auf dem Hügel: hier gibt es einen Bankomaten, einen Supermarkt, einen Fluss, einen schönen öffentlichen Park mit Bänken, und ein Cafe.“ Außerdem habe ich an einem Olivenhain schöne Stücke Olivenholz zum Schnitzen gefunden. Man kann sich das so vorstellen: mein Holz von dem Hügel zu schnitzen fühlte sich an wie wenn man trockenes Krustenbrot schneidet, das Olivenholz fühlt sich an wie harte Butter aus dem Kühlschrank. Am Abend dann, gestern, hatte ich aber eine Erleuchtung, da es mit den Knien nicht besser wurde, und auch die Gesellschaft in dem Dorf nicht so cool war: ein paar etwas stumpfsinnige, verwahrloste alte Männer (Thomas Bernhard hat recht: es ist besser, man kennt die Landessprache nicht und kann sich einbilden, dass die alten Männer alle über wichtige philosophische Probleme diskutieren. Wenn man es versteht, oder sie mit einem reden anfangen, merkt man schnell, dass das weit weg von der Wahrheit ist.) Die Erleuchtung war: es bringt nichts, Tag für Tag dazusitzen und den leisesten Botschaften aus den Knien zu lauschen. Ich sollte aufhören, in Pausetagen zu denken, und anfangen, in Pausewochen zu denken. Ich muss eine Beschäftigung finden, die mich von den Knien ablenkt, sodass ich sie vergesse, und irgendwann dann fahre ich weiter. Das war gestern Abend, und in den letzten 24h ist dann viel passiert.

Ich schaute auf die Karte: in welcher Stadt in der Nähe kenne ich jemanden? Ich kenne aus Bologna, 70km Luftlinie von meinem gestrigen Ort, ein paar Leute von einer Orchesterreise von vor zweieinhalb Jahren. Diese 6 Facebook-Freunde schrieb ich dann ganz euphorisch an (wiedermal eine Situation in der Facebook Dinge möglich macht), und da ich es so schwungvoll geschrieben hatte, dachte ich, dass ich auch sofort unterstützende Antworten bekomme. Die… kamen… aber… nicht… 6 Leute hatte ich angeschrieben, zwei schrieben, dass sie dort nicht mehr wohnen, eine schrieb, dass sie gerade schon jemand anders beherbergt, zwei lasen es, ohne etwas zu schreiben, und einer las es nicht. Meh. Ich ging, als es kalt und dunkel wurde, zum Fluss, an dessen Ufer ich mein Zelt aufbaute, und irgendwann hörte ich mich denken: „Es kann doch nicht so schwer sein, irgendwo für Kost und Logis zu arbeiten!“ Das heißt: diesen Gedanken hatte ich in den letzten Tagen oft, aber ich wusste, ich könnte nicht große körperliche Arbeit machen, wegen den Knien. Aber als ich mir das beim Zeltaufbauen dachte, kam mir: „Woofen! Oh Mann! Das ist perfekt jetzt!“ Woofen ist so bei einem Biobauernhof mitarbeiten, und dafür Essen, Gemeinschaft und einen Schlafplatz zu bekommen. Ich konnte kaum erwarten, mit dem Zelt fertig zu sein, um dann das zu googlen. Ich fand auch bei Woofen-Italia gleich einen Bauernhof in meinem Tal! Nur die Adresse stand nicht dabei, dafür muss man Mitglied sein. Mit diesen Gedanken schlief ich unruhig ein, und wachte schon nach 6 Stunden wieder auf. Am nächsten morgen, also heute, ging ich wieder in den Park, und wollte das organisieren: wiederwillig wurde ich für 35€ WOOF-ITALIA Mitglied, um an diese Adressen zu kommen. Ich dachte mir, wenn ich auf so einem Bauernhof einen Monat bleibe, hat es sich locker gerechnet, und die Erfahrungen sind ja sowieso unbezahlbar. Trotzdem sind 35€ blöd, denn mit jedem Euro, den ich weniger habe, rückt auch das Ende, wann auch immer es sein wird, näher. Als ich auf die Bestätigung (und somit auf die Adressen) wartete, schrieb ich meinen Bologneser Freunden sozusagen: „War wohl nix, trotzdem alles Gute und bis zum nächsten Mal!“ Da meldete sich der eine, der es gelesen und nichts geantwortet hatte, mit einem knappen: „From next week should be no problem. I’m still in Bologna.“ Cool, jetzt hatte ich also zwei Möglichkeiten: Woofen, wenn es so spontan klappt, oder nach Bologna! Dann kam die Adresse, und der Bauernhof war 10km entfernt. Ich wollte nicht dorthin Fahrradfahren, da ich meine Knie schonen wollte, und es gab einen Bus dorthin, also wartete ich zwei Stunden, von 10 bis 12, auf ihn. Ich fragte noch eine Frau, ob die Busse Fahrräder mitnehmen, und sie sagte, es geht. Aber ich fragte mich schon beim Gespräch, ob die Frau vielleicht eine geistige Behinderung hat, und ob sie das alles versteht. Der Bus kam endlich, und es war ein kleiner Reisebus, in den kein Fahrrad passte. Mmmmhhh. Also stieg ich doch aufs Fahrrad, und als ein kleiner Polizei-Jeep an mir vorbeifuhr, streckte ich, ohne viel nachzudenken, meinen Daumen raus, also das Tramp-Zeichen. Sie blieben stehen, und waren über-hilfsbereit, und haben mir meine Taschen ins nächste Dorf gebracht, und ich bin ohne Taschen mit dem Fahrrad nachgekommen. Ahja, hier ist ein Gedanke wichtig: ich wollte nicht bei dem Bauernhof vorher anrufen, sondern dachte mir, es ist cooler, wenn ich mit meinem fetten Berg von Reiserad müde mit kaputten Knien vor ihnen stehe, dann können sie es mir ja nicht ablehnen. Dieser Gedanke ist der Grund, warum ich in das Dorf gefahren bin, ohne dort anzurufen. Dort wollten die Polizisten aber nicht von mir lassen, und mir weiter helfen. Wohin ich wolle. Ich zeigte ihnen die Adresse auf dem Handy. Der Polizist telefonierte, und ich dachte, er ruft die Zentrale an, ob sie ihm sagen können, wo das ist, da er es nicht kennt. Er aber, das erfuhr ich erst danach, hatte den Bauernhof angerufen! Das hat meinen Plan natürlich völlig versaut: statt dem Anblick eines heroischen Weltenbummlers ein Anruf von der Polizei… Oh Mann, naja. Also der Bauer meinte: „Nein, wir bieten keine Übernachtungen.“ Die Polizisten verließen mich mit dem Auftrag, an dieser Stelle auf ihren Kollegen zu warten, der in 40 Minuten käme. Da saß ich also, und dachte nach. Die erste Woofing-Idee war gescheitert. Vielleicht sollte ich doch erstmal nach Bologna? Da hatte ich den nächsten Gedanken: Couchsurfing! Ich kann aus dem Tal raustrempen, dann dort Couchsurfen, und dann entweder Woofen oder nach Bologna. Ich schrieb gleich mal zwei nett aussehende Couchsurfer am Ende des Tals, in Forlì an, und dann kam der Polizist, ein super netter Mensch, der mich in seinem privaten Kleinwagen (wie ein Polo, nicht wie ein Golf) samt meines Fahrrads und des Gepäcks (!) dorthin fuhr. Er hatte einen interessanten Job, denn er war nicht normaler Polizist, sondern sozusagen Ranger oder Wildschützer oder wie man das nennt. Er jagt illegale Jäger. Auch Leute, die wild zelten 😉 der war sehr nett, hatte coole Geschichten zu erzählen, und konnte gut Englisch. Im Auto kam dann auch eine Antwort von Couchsurfing, dass mich ein Student (der selber als Profilbild ein Radreise-Bild hat) für die Nacht aufnimmt, vielleicht länger. Ich kam hungrig in dieser Stadt an, aß eine Pizza, und jetzt wollte ich eben Siesta machen, und stattdessen habe ich das hier geschrieben. Mit dem Student treffe ich mich gleich, wenn seine Uni aus ist.

Puh, also eine verrückte Wendung der Reise. Die Knie verhindern mir vorerst das Fahrradfahren. Vielleicht für eine Woche, vielleicht für zwei, vielleicht für einen Monat, vielleicht für 3. Vielleicht finde ich doch noch einen Woofer-Bauernhof, der mich spontan nimmt, vielleicht fahre ich nach Bologna zu den Freunden. Vielleicht Couchsurfe ich ein bisschen, und fahre dann im Flachen weiter Fahrrad, um die Apenninen herum. Viele Optionen, stündliche Wendungen. Mal sehen wie es weitergeht.

PS: Bevor ich gutgemeinte Hinweise bekomme, dass ich die Einstellung meines Sattels überprüfen sollte: da passt alles, den habe ich mühsam und perfekt vor der Reise eingestellt. Ich hatte die Knieprobleme auch zuerst schon beim Wandern. Sie scheinen einfach das schwächste Glied meines adonischen Körpers zu sein. Es ist nur für mich unglaublich schwer, da die Belastungsgrenze zu erahnen, denn zum Beispiel bei Muskeln spürt man ja, wie sie müder werden. Aber Knie spürt man überhaupt nicht, bis es auf einmal zu spät ist. Wie, wenn man gegen eine unsichtbare Litfaßsäule laufen würde. Knie… Antoine de Saint-Exupéry würde sagen: „Knie… sie sind ein großes Geheimnis.“ Goethe würde sagen: „Der Geist der Medizin ist leicht zu fassen: ihr durchstudiert die groß‘ und kleine Welt, um es am Ende gehn zu lassen, wie’s Gott gefällt.“ Buddha würde sagen: „Verweile nicht in der Vergangenheit, träume nicht von der Zukunft. Konzentriere dich auf den gegenwärtigen Moment.“ There we go.

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