Ein Glückspilz und das Ende der Spiritussuche
Ich bin ja schon ein Glückspilz, heute besonders aus zwei Gründen.
Der Erste: ich habe heute morgen entschieden, schon mittags zu stoppen und mal alle meine Sachen und mich sauber zu machen. Eigentlich wollte ich in ein Hostel in Ravenna, aber die haben alle geschlossen, sodass ich jetzt auf einem sehr sympathischen „Bio“-Campingplatz bei der Familie in der Küche sitze und schreibe. Das Glück, das ich dabei hatte, ist, dass es außen seit zwei Stunden wie aus Kübeln regnet und auch stark gewittert. Das wäre ein sehr unangenehmer Nachmittag auf der Straße gewesen, und stattdessen sitze ich im Warmen und schaue dem munteren, stürmischen Treiben draußen zu. Dass ist mich dafür entschieden habe, den großen Putz-Tag ausgerechnet heute zu machen, kommt nicht daher, dass ich eine Wettervorhersage kannte (ich verwehre mich denen dogmatisch), sondern vielmehr wegen folgender Geschichte: ich habe seit Wien nicht mehr geduscht, und mich nur einmal in einem slowenischen Fluss und zweimal im Meer gewaschen. Das wäre weiter nicht schlimm, man gewöhnt sich daran, dass die Haut ein wenig klebt, beim Radfahren riecht man eh nichts von sich selbst, und auch nachts im Zelt finde ich es so gemütlich, dass ich immer morgens ungern den Schlafsack und das Zelt verlasse. Gestern habe ich aber am Strand geschlafen (es war gestern außerdem der erste richtig warme Tag – mit T-Shirt und kurzer Hose und allem drum und dran). Dieser Abend und Morgen waren wunderbar, da ich im Osten einen Mondaufgang, im Westen einen Monduntergang und im Osten einen Sonnenaufgang miterlebt habe, und auf dem ganz flachen Strand wie auf einem fremden Planeten völlig alleine war. Die Folge dieser schönen Zeit war allerdings, dass in allen meinen Dingen, und vor allem an meinem Körper, überall ein bisschen Sand war. Das war nun doch unangenehm genug, um mich nach einer Dusche zu sehnen. Also, der erste Glücksfall ist, dass ich heute eh eine Herberge aufgesucht hätte, und ich dadurch zufällig einem echten Unwetter ein Schnippchen geschlagen habe.
Der zweite Grund, warum ich mich Glückspilz nenne, ist, dass ich so nette und auch kompetente Freunde in der Heimat habe. Auf meinen letzten Blogeintrag haben sich drei Menschen bei mir gemeldet: 1. die erwachsene Aufsichtsperson von damals, der studierte Chemiker. 2. meine Tante, eine Apothekerin, also sozusagen eine echte Insiderin des Spiritushandels. 3. ein Schulfreund, mit dem ich seit dem Abi keinerlei Kontakt mehr hatte, und der für mich ebenfalls einen Chemiker gefragt hat. Also herzlichen Dank für diese hilfreichen Nachrichten! Bevor ich aber die Fachlage und die Lösung meines Problems erklär, erzähle ich, wie mein Problem sich weiterentwickelte, bevor die hilfreichen Nachrichten eintrafen. Gestern fuhr ich, halb bewusst, halb unbewusst, mit dem Tagesziel, diesen Baumarkt zu erreichen. Die 80km, von denen ich letzten Eintrag geschrieben habe, waren aber die Luftlinie, die einem GoogleMaps anzeigt, wenn man schlechten Internetempfang hat. Also es war ein langer Tag, und um 18:30 erreichte ich mein Ziel. Es war ein echter, großer Baumarkt, wo die Rasenmäher an Schnüren von der Decke hängen, und ich fragte nach Spiritus, sofort kompetentes Nicken, und der Mann führt mich zu einem Regal voll von dem rosa 90%-Zeuch, in allen möglichen Größen! Was anderes haben Sie nicht? Nein. Als ich den Baumarkt nach 3 Minuten wieder verließ, setzte ich mich auf dem Parkplatz auf den Boden, und fühlte mich so leer wie nach einer großen Prüfung. Eine halbe Stunde (das ist nicht übertrieben) saß ich da, weil ich gar nicht wusste, wo mich meine Beine jetzt hin tragen sollen. Auf dem Parkplatz wurde mir aber eines klar: dass ich überall nur das rosa Zeuch finde ist kein Zufall, sondern hat bestimmt rechtliche Gründe. Man darf in Italien wohl nichts höheres als 90% verkaufen, außer in Apotheken, und deshalb ist es sinnlos weiterzusuchen. In Österreich gab es hochprozentigen Spiritus in jedem SPAR-Supermarkt (Anmerkung: heute beim „Aufräumen“ habe ich den Aluminiumkanister aus Österreich gefunden, und auch der hat nur 96%). Ich fuhr dann zum Strand und hatte noch einen schönen Abend. Die Nachrichten, die mich dort erreichten, enthielten die folgenden erhellenden Informationen (ich zitiere den Chemiker): „Bei hohen Temperaturen verbrennt Alkohol vollständig zu Kohlendioxid und Wasser. Brennspiritus enthält neben Alkohol unterschiedlichste Vergällungsmittel die den schwarzen Ruß erzeugen. Ohne die giftigen und bitteren Vergällungsmittel könnte man das Zeug trinken ohne Alkohol Steuer.“ Also das war die Ruß-Erklärung: reiner Alkohol würde nicht rußen, aber damit die Alkohol-Steuer nicht greift und man es zu billigem Schnaps weiterverarbeitet, werden giftige Substanzen hinzugesetzt, die beim Verbrennen den Ruß erzeugen. Das hat mich doch einigermaßen betrübt, da ich dachte, ich könnte das Problem (wie das Verhalten des Mondes) mit Vernunft, Zeit und Kenntnis der Naturwissenschaften lösen, dabei liegt dem ganzen, auch der Allgegenwart des rosa Zeuchs, eine verdrehte Wirtschafts- und Rechtslogik zugrunde. Mir scheint es, dass Juristen wohl die wahren Survival-Experten der Moderne sind. Zugespitzt könnte man formulieren: mein Kocher rußt nicht aus chemischen, sondern aus steuerrechtlichen Gründen. Nungut. Da reiner Alkohol in der Apotheke laut meiner Tante für mich unerschwinglich ist, habe ich entschieden, solange ich in Italien bin, mit dem rosa Zeuch zu kochen (das kostet nur 2€ der Liter, die Alternativen das 10-fache.). Das ist also meine Form von „sich den Landessitten anpassen“. Und wenn ich irgendwann nach Frankreich komme, werde ich dort mal den französischen Spiritusmarkt strapazieren.