Tag 18
Na, das war ein lustiger Tag, den erzähl ich mal. Er enthält viele der typischen Leitmotive meiner Reisen, und gibt daher einen ganz guten Eindruck davon, was mir so auf meinen Wanderungen und Radreisen passiert.
Um Kontext zu geben: ich bin schon in Slowenien, und bin heute etwa 80km (ich habe schon seit vor Wien nicht mehr auf meinen Tacho geschaut) gefahren, aber sozusagen um ein Bergmassiv herum, sodass ich Luftlinie nur 30km von meinem letzten Zeltplatz entfernt schreibe.
Ich wache also auf, und es regnet stark, so, dass es im Zelt laut ist. Fein, denke ich mir, dann beginnt der Tag halt langsamer, und trinke gemütlich Kaffee, mache mir meinen Haferbrei, und schreibe einen Blogpost, den ich aber dann nicht gepostet habe, weil ich kein Internet hatte. Irgendwann ist es aber spät genug, und der Regen hört nicht auf, also packe ich alles im Regen zusammen, vor allem das Zelt klitschnass, und fahre los. Ich fahre an einem Fluss in den Bergen entlang, und es gibt zwei Optionen: auf der rechten Uferseite ist eine mittelstark befahrene Bundesstraße, die dafür flach ist, und auf der linken Seite ist der Radweg, der aber ständig in den Wäldern auf und ab geht. Weil es regnet, denke ich mir, ich fahre die Straße, denn von der Landschaft sieht man eh nichts. Nach einer Stunde wechsel ich die Uferseite, da mir die Autos doch lästig werden, und gurke im Wald, der durch den Regen etwas sehr dschungelhaftes hat, auf und ab. Irgendwann, gegen 12, komme ich doch in ein Örtchen, wo ich auf eine Pizzeria mit einer großen überdachten Terrasse treffe, was mir sehr gelegen kommt, da ich (denke ich) wegen meiner Körperhygiene nicht mehr irgendwo innen sitzen kann. Dort bestelle ich mir also eine Pizza, die viel besser schmeckt als sie aussieht (sie sah 2/10 aus, und schmeckte dann 5/10, würde ich sagen. Lustig, oder besser gesagt ungeheuerlich, schrecklich, unfassbar, ist, dass sie, wie in Polen, auch in Slowenien zu der Pizza Ketchup servieren.) Das war ein Stimmungsaufheller, denn ich war satt ohne viel Müh. Geregnet hat es aber weiterhin, und in der Pizzeria sah ich auf meiner Handykarte, dass ich auf der bergigen Uferseite überhaupt nicht voran kam. Also beschloss ich, wieder die Seite zu wechseln, da neben der Pizzeria irgendwo eine Brücke sein müsste. Die war aber wegen Bauarbeiten gesperrt, was ein echter Downer war, sodass ich weiter durch den schwächer werdenden Regen auf und ab fahren musste. Ich hatte immer den ersten Gang eingelegt, denn wenn es hoch ging, brauchte ich ihn, und wenn es runter ging, ließ ich es rollen. Diese Art der Fortbewegung ließ ich also zwei Stunden stumpfsinnig über mich ergehen, bis ich nach Dravograd kam, von dem ich in den Stunden davor auf den Schildern so viel gelesen hatte. Ein absolut heruntergekommenes, kleines Städtchen, ohne einer gescheiten Parkbank. Dort war ich mit den Kräften und auch stimmungsmäßig am Ende angelangt, da ich überhaupt nicht vorangekommen war, und durch den Regen nichts von der Landschaft gesehen hatte. Und jetzt gab es dort nicht mal ein kleinen Platz zum Pause machen. Es hatte mittlerweile aufgehört zu regnen. Ich suche mir also einen kleinen Grünstreifen neben dem Fluss, direkt neben der Polizeistation, und lege aufs nasse Gras meine Isomatte. Völlig entkräftet sacke ich zu Boden und denke mir: das ist gerade eindeutig der bisherige Tiefpunkt der Reise, ich sitze hier neben einem stinkenden Fluss, neben einer ruinenhaften Polizeistation, im nassen Gras, kann nicht mehr, und vorangekommen bin ich auch nicht. Und im Regen ist diesem Land nichts abzugewinnen, alles wirkt einfach heruntergekommen. So denke ich, und lege mich zum Mittagsschlaf hin. Da war es 15:30. Jetzt wird’s lustig. Zwanzig Minuten in den Schlaf hinein werde ich auf einmal von Tropfen ins Gesicht geweckt: es hatte wieder angefangen zu Regnen. Wie von der Tarantel gestochen (im Rückblick habe ich mich sehr gewundert, warum ich so aufgesprungen bin, aber es war in dem Moment genau das Richtige) packe ich all mein Zeug zusammen, weil es wirklich zu schütten anfängt. 3 Minuten später sitze ich auf dem Fahrrad, und es gießt wie aus Kübeln. Sofort bin ich klatschnass (also von außen, die Regenkleidung hält immer noch komplett dicht), und auf den Straßen hat sich schon so eine 5mm Wasserschicht gebildet, sodass die Autos Spuren hinterlassen. Ich bin aber noch vom Schlaf ganz benommen, und strampel langsam vor mich hin, und suche Unterstand. Erst stelle ich mich bei Mülltonnen unter, das ist aber selbst mir zu blöd, strampel weiter, und sehe wie sich ein Mann in Blaumann an einer Scheunenwand untergestellt hat. Da stelle ich mich dazu. Dann kam sein Kollege, und sie haben eine große Baumaschine auf einen Anhänger verladen, und sich dabei total unfreundlich angeschnauzt, und sich extra gegenseitig nicht geholfen! Beide haben irgendwie aufeinander geschmollt, ganz verrückt. Ich war vom Schlaf immer noch so benommen, dass ich ihnen regungslos zuschaute, bis sie weggefahren waren. Als ich zu Bewusstsein kam, wurde mir klar, dass diese meine Gesamtsituation so elend war, dass es nur noch lustig und absurd war. Da lachte ich also. Ich wollte mir Kaffee kochen, aber an der Straße an der Wand auf dem Boden kam es mir unpassend vor. Weil ich nichts, aber auch wirklich gar nichts anderes zu tun hatte, ging ich an der Scheunenwand entlang und schaute um die Ecke. Da war ein… irgendwas, ein Klempnerbetrieb oder so, der hatte so was wie eine kleine überdachte Werkstatt, und er hatte zu, sodass niemand da war. Das war super, also ging ich – es regnete immer noch strömend – dorthin, und: siehe da! Das Schicksal wendet sich! Dort stand sogar eine Bank und ein Tisch! Das war also der Wendepunkt des Tages, also eigentlich das Lachen 5 Minuten davor, aber durch die Bank und den Tisch materialisierte er sich auch noch. Ich saß da jetzt im trockenen und machte mir guten warmen Kaffee. Ab und zu kamen Leute und fragten mich, als ob ich da arbeiten würde, irgendwelche Sachen. Drei Stück waren es, die mich fragten! (Hallo? Seh ich aus wie einer, der dort arbeitet, wenn ich ein vollbepacktes Reiserad neben mir stehen habe, und mir nach aller Camping-Kunst einen Kaffee koche? Nicht zu fassen 😃) Der Kaffee tat Wunder, und ich las noch Dostojewski weiter (von dem ich mal etwas länger schreiben muss, denn ich bin maximalbegeistert), und irgendwann, aufgewärmt, vom Kaffee aufgemuntert, ging es weiter, und sogar zu Regnen hatte es aufgehört! Da war es schon 17:40, weiß ich zufällig. Ich fuhr also weiter, und wollte Wasser holen, da war eine „Pekarna“, also eine Bäckerei, und als ich hineingehe sehe ich auf der Tür, dass es hier einen Döner+Getränk für 4€ gibt, also hab ich mir spontan noch einen Döner gekauft, der super gut war, und es war ein sehr netter Wirt, und ich fuhr mit noch besserer Stimmung und vollem Magen weiter. Dann wurde es langsam dunkel, und ich sah ein Hopfenfeld am Wegrand, und dachte mir dahinter ließe sich gut wild zelten. Ich laufe mit dem Fahrrad durch die Wiese, da begegnet mir ein junger Mann, der mich anredet. Wir wechseln ins Englische, und er war ein supernetter Mann, Nebenerwerbslandwirt, ihm gehört das Feld und die Wiese, auf der ich jetzt Zelte, er hat zwei Kinder, fährt ab und zu nach Nürnberg wegen Biermessen, ist von Beruf Ingenieur, hat schon in Toronto und Shanghai gearbeitet, spricht perfektes Englisch… nur auf die famose Idee, mich zum übernachten in sein Haus einzuladen, darauf ist er nicht gekommen 😃 Dabei hatte er noch nachdenklich bemerkt: in meinem Zelt wäre es jetzt nass und kalt. Nungut 😃 Also das war dann das Ende des Tages. „This is my land, if anyone bothers you, just call me!“.
Tja, so lässt’s sich schon leben: ein zäher Vormittag, ein absoluter Tiefpunkt am Nachmittag, und dann eine glückliche Fügung nach der anderen bis zum Schlafengehen.
Ein praktisches Wort zum Schluss: ich habe mein Zelt heute morgen im Regen abgebaut, es war klitschnass. Ich dachte mir noch: „Sollte ich heute mal kein Wasser zum Trinken haben, kann ich locker einen Liter aus meinem Zelt herausdrücken.“ Jetzt würde man ja denken das aufzubauen am Abend und darin zu schlafen wäre irgendwie problematisch oder so. Lasst es mich aber ganz klar sagen: es ist überhaupt kein Problem, in einem nassen Zelt zu schlafen! Nasser als meines jetzt gerade ist, geht es gar nicht, aber sobald man die Isomatte draufgelegt hat, ist der Unterschied zu einem trockenen Zelt marginal. Man stellt es sich vielleicht so vor, dass man das Zelt aufbaut und Wasser steht drin oder es tropft von oben oder so, aber das ist ja Unfug. Es ist einfach feucht, mehr nicht. Also: nasses Zelt -> kein Problem.