Wien

Ich sitze gerade morgens im Wald im Zelt, zwischen Wien und Slowenien. Laut war diese Nacht, so richtig im Wald ist echt noch mal viel mehr los als nur am Waldrand oder an Baumgruppen… ständig wurde ich von echt lauten Lauten geweckt, trotz Oropax, und da ich offensichtlich nicht so ein großer Tierexperte bin, wusste ich nicht, ob es ein hysterisch kreischender Vogel oder ein Wildschwein war! 😃 Nungut.

Gestern bin ich aus Wien weitergefahren, wo ich drei Tage Pause gemacht habe. Sehr nett war es, von einer guten Freundin und ihrem Freund beherbergt zu werden. Für meine Beine war es wirklich wichtig, glaube ich, denn obwohl ich in der ersten Woche keinen Muskelkater gespürt habe, ist in den ersten 36 Stunden des Nicht-Radelns ein starker Muskelkater aufgekommen, und hat sich dann in den folgenden 36 Stunden wieder gegeben. „Exercised-induced Analgesia“ ist das fancy Fachwort für diesen Effekt, und überhaupt sind der deutsche und englische Wikipedia-Artikel über Muskelkater ein Vorbild an wissenschaftlichem Skeptizismus und höchst lesenswert („Counterintuitively, continued exercise may temporarily suppress the soreness. Exercise increases pain thresholds and pain tolerance. This effect, called exercise-induced analgesia, is known to occur in endurance training (running, cycling, swimming), but little is known about whether it also occurs in resistance training. There are claims in the literature that exercising sore muscles appears to be the best way to reduce or eliminate the soreness, but this has not yet been systematically investigated.„).

Wien, die Stadt Mozarts, Mahlers, Freuds, Bernhards und Hundertwassers, war trotz des Regens ein Erlebnis. Die Stadt hat schon echt einen Charakter! Drei Dinge:

• Ich war natürlich bei den Hundertwasser-Häusern, die mir super gut gefallen haben. Ich bin mal gespannt auf Gaudi in Barcelona, aber im Moment habe ich mir im Kopf folgenden Unterschied zurechtgelegt: wenn man ein Haus wie Gaudi bauen wollte, bräuchte man – wie auf einer mittelalterlichen Baustelle eines Domes – eine Heerschar an Handwerksmeistern, die alle Fenster, Böden, Türklinken, Fensterrahmen etc. genau nach Entwurf kunstvoll herstellen. Baut man ein Haus wie Hundertwasser kann man jedes hässliche bestehende Wohnhaus nehmen, und mit bunter Farbe, Fließenresten, und allen möglichen gefundenen Fenstern, Türklinken und Fensterrahmen seiner individuellen Kreativität freien Lauf lassen. Ganz einfacher Do-It-Yourself-Approach, und mir sehr sympathisch, denn das Endergebnis erfreut das Herz.

• Ich war in der Albertina, das große Kunstmuseum in Wien. Die Sammlung Batliner hatte unglaublich schöne Bilder von Monet, Munch, Nolde, Chagall, Miro, Picasso etc., aber was mich total beeindruckt hat – und das hätte ich nicht von mir erwartet – waren Renaissance-Zeichnungen von Bruegel, Rembrandt, Dürrer und Michelangelo. So was feines hab ich selten gesehen. Totale Begeisterung.

• Am letzten Abend waren wir dann noch im Burgtheater in Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“, was eine große Enttäuschung war. Die Inszenierung war sehr schön, die Handlung von Shakespeare auch, ABER: die Nasen haben gar nicht Shakespeares Sprache verwendet, sondern immer in einer modernen, scheinbar improvisierten Sprache, die nichts mit Shakespeare zu tun hatte, gesprochen. Beispiel: statt dass Lysander Hermia mit schwärmerischen Shakespeare-Versen, gespickt mit den schönsten Vergleichen, versucht rumzukriegen, hat er etwas gesagt wie: „Ach, komm schon… ääähhmmm… in deinem Schlafsack ist Platz genug für uns beide, wirklich!“ Ich bin verblüfft, dass das Burgtheater mit so was seine Saison eröffnet, und man so was als „Shakespeare“ auf Plakaten bewerben darf. Für mich ist das nicht Shakespeare, wenn man nicht seine Texte verwendet. Zum Glück haben die Karten nur 3,50€ gekostet (Burgtheater yay!).

Das Highlight, abgesehen von den Freunden, war aber Horst, ein alter Schla-Wiener, den ich vor einem Fahrradladen getroffen habe. So einen interessanten Menschen habe ich selten getroffen. Er war 72, lebte seit 40 Jahren in Wien, und hatte so viel erlebt und gesehen! So stelle ich mir vor, dass Captain Jack Sparrow mit 72 in einer Bar reden würde: durchtrieben bis in die letzte Haarspitze, lustig, und voller verrückter Geschichten, die er mit irgendwelchen berühmten Juden und Jüdinnen erlebt hatte. Hätte ich noch ein bisschen mit ihm gequatscht, hätte er sicher versucht, mir ein AK47-Bajonett zu verkaufen, auf die er so schwört. Er hat sie sogar Bauern verkauft, und jetzt sitzen die Montags außerhalb von Wien am Stammtisch und schneiden ihren Speck mit diesen Bajonetten! 😃 Verrückter Typ, den werde ich nie vergessen. Einen Teil des Gespräches habe ich heimlich aufgenommen, da ich gerade Tränen lachte, und es irgendwie bewahren wollte. Manches versteht man nicht, aber manche Perlen sind doch da und verständlich (zB ab Minute 11: hat Heirat was mit Liebe zu tun? „Am Anfang nicht, aber später dann schnackts. So ist das mit uns Menschen.“).

https://www.dropbox.com/s/nrl64wbwsbxm5wc/Horst.m4a?dl=0

Nungut, jetzt gehts aber ins Warme, ich hoffe, dass ich etwa morgen nach Slowenien komme, und dann bald ans Mittelmeer komme.

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